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Wir machen den Dialog … und andere Irrtümer der Call Center Geschichte

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Ein Gastbeitrag von Harald Henn

Das Motto der CCW 2014 ist kurz, knackig und …katastrophal in seiner Aussage. Der Slogan “Wir machen den Dialog” enthält gleich zwei fatale Irrtümer: “Wir” bedeutet, dass der Dialog Eigentum der Call Center ist. Andere Organisationseinheiten sind demzufolge nicht verantwortlich oder nicht wichtig, wenn es um den Dialog mit den Kunden geht. Zweiter Irrtum – und der wiegt weitaus schwerer: Das Unternehmen mit seinem Call Center erhebt den Anspruch, Dialoge zu führen und zu gestalten. Kein Wort, keine Silbe zum Kunden und seiner Rolle in diesem Spiel. Doch der Reihe nach. Wie kommt ein solcher Slogan zustande?

Wir machen den Dialog … und andere Irrtümer der Call Center Geschichte

Die Call Center Branche beschäftigt rund 500.000 Mitarbeiter, etwa so viele wie die Chemie Branche. Das Image allerdings liegt in Deutschland am unteren Ende der Beliebtheitsskala. Dieses Negativ-Image begleitet die Branche seit ihrer Geburtsstunde. Kaum ein Tag vergeht, in dem nicht eine große Tageszeitung, ein Radiosender, ein Meinungsmacher über die Branche herfällt und neue negative Schlagzeilen produziert. Wie ein Reflex schließt sich die Branche zusammen, reagiert beleidigt und feiert lieber im engsten Familienkreis – sozusagen unter Freunden. Man ist unter sich, ohne Kritik und schimpft lauthals darüber, dass die anderen die Leistung, das Positive ignorieren und nicht wertschätzen. “Wir machen den Dialog” ist die trotzige Reaktion einer Branche, die sich missverstanden und beleidigt fühlt.

Der Kunde macht den Dialog – und niemand sonst

Die Entwicklung des Kundenverhaltens, die geänderten Einstellungen zur Kommunikation mit Unternehmen scheinen unbemerkt an der Call Center Branche vorbeizugehen, hat man hin und wieder den Eindruck. Seit 2006 geht das Anrufvolumen zurück. In vielen Studien dokumentieren die befragten Personen, dass sie die asynchrone Kommunikation einem Anruf vorziehen. Gleichzeitig wünschen sie sich eine Verbesserung der persönlichen Kommunikation in den Fällen, wo sie mit einem Unternehmen reden wollen oder müssen.

Die Verlagerung auf Selfservices, die Nutzung von Apps und digitalisierten Geschäftsprozessen schreitet unaufhaltsam voran. Ganz zu schweigen davon, dass die Kunden auch ein anderes Selbstbewusstsein im Umgang mit Unternehmen entwickeln. Sie sind sehr viel selbstbewusster, informierter und fordernder als vor 5 oder 10 Jahren. Communities, Social Media Plattformen, all dies führt dazu, dass der Kunde am Drücker ist und bestimmt, wann, wo und wie er kommunizieren will oder möchte.

Der Anspruch vieler Unternehmen geht nach wie vor davon aus, die Kontrolle über den Dialog mit dem Kunden zu besitzen oder besitzen zu wollen. Das Dogma von der Beherrschbarkeit einer Kundenbeziehung ist jedoch realitätsfern. Selbstverständlich kann man Kunden in Kundenwertklassen einteilen und auf Basis interner Datamining Verfahren diesem Kunden dann ein “tolles” Angebot für ein neues Produkt unterbreiten. Allerdings funktioniert diese Marketing- und Vertriebsmaschinerie nicht mehr wie in den 60er und 70er Jahren. Die Berieselungstaktik stösst auf Widerstand bei den Kunden. Die Erfolgsquote bei Outbound-Kampagnen und Direktmarketing-Aktionen geht vielfach zurück. Das Loslassen fällt den Unternehmen jedoch schwer. “Wir machen den Dialog” ist auch der Ausdruck genau dieses überkommenen Anspruchs.

Die Beherrschbarkeit hat insbesondere bei Call Centern nachvollziehbare Gründe. Die Planung des Personalbedarfs auf Basis der Anrufvolumina, der durchschnittschlichen Gesprächsdauer etc. ist elementar wichtig, um die Erreichbarkeit usw. zu steuern und die Kosten im Griff zu halten. Je komplexer die Medien- und Kanalwelt wird, je weniger plan- und steuerbar das Verhalten ist, desto größer sind die Risiken von Unter- oder Überbesetzung. All dies sind Unternehmensziele, die auf Effizienz abzielen. Nachvollziehbar – aber sie dürfen nicht zum Grundgesetz des Kundenservice werden.

Kunden lassen sich nicht mehr in vordefinierten Abläufe und Prozesse zwängen, sie begehren auf, wenn die standardisierten, blutleeren Prozesse zu keinem befriedigenden Ergebnis führen. Dabei ist die Lösung relativ einfach. Loslassen und mit dem Kunden kooperieren. Ihn in den Lösungsprozess einbinden und sich davon verabschieden, ihn managen zu wollen.

Überall dort, wo Unternehmen das Dogma “Wir machen den Dialog” durch “Du, lieber Kunde, machst den Dialog” ersetzen, lösen sich viele Probleme von selbst. Bei giffgaff, Simyo, Dell oder Samsung gibt es Plattformen, auf denen Kunden anderen Kunden helfen – freiwillig und ohne Bezahlung. Und oft besser, als die Mitarbeiter des Unternehmens, weil sie als Kunde viel besser die Sprache des Kunden verstehen. Im klassischen Management ist ein solches Verlagern auf Kunden, das Nicht-Kontrollieren-Können, eine Bedrohung. Noch schlimmer sind aus diesem Blickwinkel Communities zu bewerten, bei denen der Dialog völlig ohne das Unternehmen und ausserhalb des Einflussbereiches des Managements stattfindet.

Ein Kunde – Ein Mitarbeiter: Ein Spiel, dass nicht mehr funktioniert.

Kommen wir zum zweiten Irrtum. Der Anspruch “Wir machen den Dialog” hat auch eine Signal-Funktion an andere Abteilungen im Unternehmen: Dass sich bloß keiner erdreiste, Ansprüche in Sachen Kommunikation mit dem Kunden anzumelden. Hier spürt man, wie die Angst vieler Call Center Verantwortlicher aus allen Poren kriecht. Die Jahre des satten Wachstums und des Verlagerns vieler interner Aufgaben in das Call Center sind vorbei und das Image, man kann alles und jeden Geschäftsprozess in ein Call Center verlagern, hat schwere Kratzer abbekommen.

Die Komplexität der Produkte und Dienstleistungen hat in allen Lebensbereichen dramatisch zugenommen. 3D-Drucker, virtuelle Supermärkte, ein Armband, mit dessen Hilfe man seinen PC fernsteuern kann. Die Flut mit der neue Produkte und Dienstleistungen auf die Kunden und Märkte einstürmen, ist immens. Globalisierung und Vernetzung sorgen dafür, dass die Konsumenten einem wahren Feuerwerk an Produktinnovationen ausgesetzt sind. Die Art und Weise, wie wir kommunizieren und Produkte nutzen, entwickelt sich nicht linear und gemächlich, sondern hat atemberaubende Züge angenommen – mit der Konsequenz, dass viele Produkte und Dienstleistungen vom Kunden ganz neu erlernt und begriffen werden müssen.

Jeder von uns wird bei bestimmten Innovationen zu einer Art “Virgin”-Kunde, immer dann, wenn wir mit etwas gänzlich neuem konfrontiert werden. In den Unternehmen können die Mitarbeiter im Kundenservice nicht mehr Schritt halten mit der Wissensexplosion. Trotz Wissensmanagement-Systemen stehen die Mitarbeiter im Call Center immer häufiger vor dem Problem, die Kundenanfrage nicht mehr eigenständig lösen zu können. Andere Kollegen in anderen Fachabteilungen müssen zu Rate gezogen werden. Das, was Kunden im Markt mit Communities praktizieren – sich zu Produkten austauschen, gegenseitig helfen, Ratschläge und Tipps geben – wird für Unternehmen intern zu einer Überlebensnotwendigkeit.

Collaboration Systeme, mit denen Mitarbeiter das Wissen des Unternehmens nutzen können, sind auf dem Vormarsch. Damit wird aber auch die Kommunikation nicht länger von einem Mitarbeiter gesteuert und gemanagt, sondern wird zu einem kollektiven Prozess, der nur funktioniert, wenn das Kollektiv auf Egoismen verzichtet. “Wir sind der Dialog” wird nur dann erfolgreich, wenn das Wort “wir” das Unternehmen als Ganzes einbezieht und nicht an der Call Center Tür aufhört.

Slogans, die mit “Wir sind”, “Wir machen“ beginnen, können durchaus eine kraftvolle Wirkung entfalten, wie man aus der deutschen Geschichte weiß. Wenn mit “wir” die Kunden und das “Volk” gemeint sind, würde der Slogan der CCW durchaus passen. Aber so ist das wohl nicht gemeint.


Unser Gastautor

gastbeitrag_haraldhenn_einfachschön_fig03 Harald Henn ist Geschäftsführer der Marketing Resultant GmbH in Mainz. Er optimiert Geschäftsprozesse in Vertrieb, Service, Marketing mit Lean Management Methoden und bietet Best Practice Beratung für Call Center und CRM Projekte.

Seine Erfahrungen basieren auf mehr als 15 Jahren Praxis in leitenden Marketing und Vertriebsfunktionen für amerikanische Unternehmen aus der IT-Branche.

Er ist Herausgeber und Autor des “Handbuchs Callcenter Management” und wirkt in Fachbeiräten und auf zahlreichen Veranstaltungen als Redner zu aktuellen Call Center und CRM Themen mit.

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